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Puskás & Hidegkuti 1954 in Bern
Quelle: Wikimedia Commons von Rossem, Wim van / Anefo (Nationaal Archief)

Ferenc Puskás – warum das „Wunder von Bern“ ein Wunder war

Einst setzte Ungarn mit Ferenc Puskás die Maßstäbe im Fußball. Ein tragischer Held und Nationalheiliger mit wechselvoller Geschichte.

Juni 2018 – Fußball-WM in Russland. Einer der Favoriten ist durchaus der amtierende Weltmeister Deutschland. Da wurde praktisch ein Sieg erwartet, aber das war nicht immer so. Warum sollte man sonst vom „Wunder von Bern“ sprechen und in Erinnerungen schwelgen, wenn man denn Favorit gewesen wäre. Damals grenzte der Sieg der deutschen Mannschaft im WM-Finale 1954 in Bern tatsächlich an ein Wunder. Unvergessen die Radioreportage: „Rahn schießt. Und Tooooooor….“ Das Thema bietet noch heute Stoff für Filme wie Das Wunder von Bern [Blu-ray].

Wer erinnert sich eigentlich noch an den Gegner von damals? Ungarn! Beim Gegner Ungarn würden heutzutage wohl viele deutsche Fußballfans eher schmunzeln, denn Ungarn war über lange Jahre fast von der Bildfläche verschwunden bei den großen Fußballereignissen. Auch die Buchmacher bekannter Wettbüros wie bet-at-home boten vor der EM 2016 Quoten von 500:1 für den sehr unwahrscheinlichen EM-Sieg der Ungarn. Aber Wunder geschehen immer wieder wie etwa mit Leicester City als Meister der englischen Premier League 2016. Bei der WM 2018 in Russland war Ungarn nicht dabei. 

Und natürlich spielen auch die Mitglieder der ungarischen „Goldenen Elf“ aus jenen glorreichen Zeiten schon ewig nicht mehr. Viele von ihnen leben sogar nicht mehr, aber sind zumindest in Ungarn zur Legende geworden. Allen voran der Kapitän Ferenc Púskas.

Wer war Ferenc Puskás?

Geboren am 1. April 1927 in armen Verhältnissen im Budapester Vorort Kispest wohnte der Junge in unmittelbarer Nähe des Fußballplatzes von Kispest AC. Sein Vater war Spieler bei Kispest AC und später Trainer bei Honvéd Budapest, seine Mutter Näherin. Bald erhielt er seinen Spitznamen Öcsi, was soviel wie Kleiner oder Brüderchen bedeutet (“öcs” ist das ungarische Wort für den kleineren Bruder). Bereits in Kinderjahren war er mit Jószef Bozsik befreundet – beide sollten noch lange Weggefährten in der „Goldenen Elf“ werden. Damals hieß er übrigens noch Franz Purczeld, denn der Vater war Ungarndeutscher. 1937 wurde der Name magyarisiert zu Puskás. Durch sein herausragendes Fußballtalent entging er zunächst dem Soldatsein zum Ende des Zweiten Weltkriegs und auch später der organisierten Vertreibung der Ungarndeutschen durch Stalin. So kam er in den Armeesportclub Honvéd Budapest, der dann 1950 den Titel Landesmeister errang. Insgesamt schaffte es Ferenc Puskás mit Honvéd sechsmal zum ungarischen Meister.

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Ferenc Puskás, 1949

Puskás und die „Goldene Elf“

Bald folgte die glorreiche Zeit der „Goldenen Elf“ (Aranycsapat), deren Namen damals jeder Ungar kannte: Grosics, Buzánszky, Lóránt, Lantos, Bozsik, Zakariás, Budai, Kocsis, Hidegkuti, Puskás, Czibor. Ihr Kapitän war Puskás. Einige Ungarn werden diese Aufstellung noch heute auswendig kennen. Alle Erfolge aufzuzählen, wäre müßig, denn solche Übersichten gibt es bereits. Interessant zum Nachlesen ist die Auflistung aller Spiele der ungarischen Nationalmannschaft. Daher erwähne ich nur ein paar Highlights.

Ungarn gewann den Europapokal der Fußball-Nationalmannschaften 1948-1953 mit Ferenc Puskás als Torschützenkönig. Die Goldene Elf von Ungarn wurde 1952 Olympiasieger in Helsinki und trat am 25. November 1953 zum legendären Spiel im Londoner Wembley-Stadion an, was Ungarn 6:3 gewann – die höchste Heimniederlage in der Geschichte Englands und dort oft als Jahrhundertspiel bezeichnet. Zwei Treffer steuerte Puskás bei. Der spätere englische Nationaltrainer Bobby Robson kommentierte danach: „Diese Spieler haben uns allesamt nichts gesagt. Wir wussten nicht wer Puskás war. Für uns waren all diese fantastischen Fußballer wie Männer vom Mars, völlig unbekannt.“

Die beabsichtigte Revanche Englands am 23.5.1954 in Budapest nur Wochen vor der EM erbrachte mit einem 1:7 die höchste Niederlage Englands überhaupt. Nun wird allmählich klar, wer Favorit bei der WM in der Schweiz ist. Auch die ersten Spiele ließen keine Zweifel aufkommen – 9:0 gegen Südkorea und ein 8:3 gegen Deutschland in der Vorrunde – welches hier allerdings absichtlich mit einer B-Elf antrat. Das ist die höchste Niederlage Deutschlands bei einem WM-Spiel. Im Viertelfinale und Halbfinale konnte Ungarn dann Brasilien und Uruguay jeweils mit 4:2 besiegen. Nun stand das Finale gegen Deutschland an. Jetzt ist wohl klar, dass hier nur ein Wunder etwas ändern kann. Und dieses „Wunder von Bern“ sollte die einzige Niederlage Ungarns in rund 50 Spielen in 6 Jahren werden. Diese unerwartete Niederlage brachte nicht nur den Heimkehrern Häme und Pfiffe entgegen, auch politisch wurden Spieler heranzitiert und teilweise gar inhaftiert. Die Stabilität des stalinistischen politischen Systems geriet erstmals ins Wanken, bevor es zwei Jahre später 1956 zum Volksaufstand in Ungarn kann, den sowjetische Panzer blutig niederschlugen. Wie tief die Enttäuschung über den verpassten WM-Titel sitzt, zeigen die Worte des damaligen Trainers Gusztáv Sebes, der noch auf dem Totenbett gesagt haben soll: „Wir haben verloren“. Ein interessanter Ausflug zum Aufstieg und Fall der Aranycsapat und den politischen Hintergründen findet sich auf der Webseite https://www.spox.com/myspox/blogdetail/Der-Aufstieg-und-Fall-der-Aran,211722.html.

Ferenc Puskás bei den „Königlichen“ von Real Madrid

Ferenc Puskas player licence

Spielerlizenz von Ferenc Puskás bei Real Madrid

Beim niedergeschlagenen Volksaufstand der Ungarn 1956 weilten einige Spieler zu einem Match in Spanien und kehrten in den Wirren von dort nicht nach Hause zurück. Später wäre das für Puskás auch kaum noch möglich gewesen. Seine Frau Erzsébet sprach eines Tages über die wahren Gründe. Puskás fürchtete sich vor einer lebenslangen Haftstrafe, die ihn als desertierten Soldaten erwartet hätte, schließlich war er Oberst der ungarischen Armee.

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Ferens Puskás bei Real Madrid

Ferenc Puskás spielte nach 18 Monaten Sperre durch die FIFA, die der ungarische Verband eingefordert hatte, schließlich für Real Madrid, wohin auch seine Familie auf einer gefährlichen Flucht folgte. In Madrid wurde er 1961 spanischer Staatsbürger und 1962 sogar für Spanien Teilnehmer der Fußball-WM in Chile, dort aber ohne Erfolg. Für die Königlichen war er hingegen umso wichtiger. Ferenc Puskás ist in Madrid ebenso ein Held wie in Ungarn. Mit Real gewann er sechsmal den spanischen Landesmeister, zweimal den spanischen Pokal Copa del Rey und war dreimal Sieger im angesehensten Wettbewerb – dem Europapokal der Landesmeister. Unvergessen bleibt der 7:3 Finalsieg gegen Eintracht Frankfurt im Europapokal der Landesmeister, wo Puskás vier Treffer erzielte. Aber auch menschlich zeigte er Größe. Der damalige Star von Real di Stéfano kommentierte das mit “Number ten… on and off the field” – also Kapitän, Führungspersönlichkeit und Vorbild in jeder Situation.

Puskás als erfolgreicher Trainer

Nachdem er 1966 seine aktive Laufbahn in Madrid beendet hatte, wurde Puskás Trainer zunächst in Spanien. Von 1970 bis 1974 trainierte er Panathinaikos Athen und wurde mit diesem Verein zweimal griechischer Meister sowie Finalist im Europapokal der Landesmeister, wo er sich Ajax Amsterdam unter keinem geringerem als Johann Cruijff geschlagen geben musste. Weiterhin trainierte er Mannschaften in Paraguay und Australien. Erst 1981 besuchte er erstmals wieder Budapest, wo er im Népstadion (Volksstadion) gefeiert wurde. Nach der Wende 1990 kehrte er endlich wieder in seine Heimat zurück, wo er 1993 sogar kurzzeitig als Trainer der ungarischen Nationalmannschaft wirkte.

Weitere Stationen aus seinem Leben liefern ausführlichere Biographien, etwa auf der Webseite http://www.puskasferenc.hu/de/cikk26.html oder insbesondere in der Biographie vom Journalisten Szöllősi György (auf Englisch): Puskas: Madrid, Magyars and the Amazing Adventures of the World’s Greatest Goalscorer.

Gedenken an Ferenc Puskás

Auch wenn in Deutschland verständlicherweise mehr von Leuten wie Rahn oder Fritz Walter geredet wird, so steht doch Ferenc Puskás in der internationalen Fußballfachwelt auf einer Stufe mit dem brasilianischen Weltmeister Pelé. Dieser sagte über Puskás: „Wenn es damals dieselben Möglichkeiten wie heute gegeben hätte, neue Technologien, Fernsehen, Internet, wäre er zweifellos der großartigste Spieler gewesen, sogar auf dem Mond.” Mehr zur Biographie schreibt auch eine eigens ihm gewidmete Webseite.

Noch zu Lebzeiten zu seinem 75. Geburtstag wurde das Budapester Népstadion 2002 offiziell in „Puskás Ferenc Stadion“ umbenannt. Puskás litt zu der Zeit schon an Alzheimer. Vier Jahre später verstarb er am 17. November 2006 und erhielt in Ungarn eine Ehre, die sonst nur Königen zuteil wird. Mit einem Staatsbegräbnis am 9. Dezember 2006 wird Ferenc Puskás in der St.-Stephans-Basilika beigesetzt, wo er in der Krypta direkt unter dem Altar des Staatsgründers, des Heiligen Stephan (Szent István), seine letzte Ruhe gefunden hat. Damals schrieb die FAZ: „Ungarn ist um seinen populärsten Bürger ärmer geworden“.

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Statue von Puskás im Budapester Stadtteil Óbuda

Seit 2007 heißt die Straße vor dem Bozsik-Stadion im Budapester Stadtteil Kispest „Puskás Ferenc utca“. Seit 2013 zeigt eine Bronzestatue im Budapester Stadtteil Óbuda auf dem Puskás Öcsi tér, wie Puskás Kinder mit seinen Fußballkünsten begeistert.

Das historisch berühmte und nicht mehr zeitgemäße Stadion wurde weitgehend abgerissen und durch die moderne Puskás-Arena ersetzt, die planmäßig am 15. November 2019 mit dem Freundschaftsspiel Ungarn gegen Uruguay eingeweiht wurde. Am historischen Ort gab es seinerzeit etwa das legendäre 7:1 gegen England, aber auch ebenso legendäre Auftritte von Weltstars angefangen von Louis Armstrong über Queen mit Freddy Mercury, die Rolling Stones, Tina Turner und Placido Domingo bis hin zum Papst Johannas Paul II.

Torschützenkönig Ferenc Puskás

Ferenc Puskás führte seit 25. November 1953 die ewige Bestenliste der Torschützen in Länderspielen als bester Torschütze der Welt an, letztendlich mit 84 Treffern. Erst volle 50 Jahre später wurde dieser Rekord vom Iraner Ali Daei mit 109 Treffern überboten, wovon von ihm aber ein Großteil gegen Mannschaften erzielt wurden, die jenseits von Platz 100 in der FIFA-Weltrangliste stehen.

Seit 2009 würdigt die FIFA mit dem Puskás Award jedes Jahr das schönste und ästhetischste Tor. Prämiert wurden bereits Stars wie Christiano Ronaldo, Hamit Altintop, Neymar und Zlatan Ibrahimovic. Mehr dazu auch noch unter https://www.fifa.com/de/the-best-fifa-football-awards/puskas-award.

Weitere Links und Buch-Tipps von mir

Einige Tore und Szenen von Ferenc Puskás kann man sich auf Youtube ansehen. Weiter gibt es ein Video über Puskás als Legende bei Real Madrid. Besonders bewegend ist der Abschied von Real Madrid vom einstigen Star im eigenen Stadion vor dem nächsten Spiel einen Tag nach dem Tod von Puskás, dessen Sieg sie ihrem Puskás widmeten.

Als englische Bücher gibt es Ferenc Puskas: Captain of Hungary und die Biographie Puskas: Madrid, Magyars and the Amazing Adventures of the World’s Greatest Goalscorer.

Eine Dokumentation des ZDF von 2004 berichtet über Das Wunder von Bern – Die wahre Geschichte und die Sönke-Wortmann-Adaption Das Wunder von Bern [Blu-ray] thematisiert dies filmisch.

Umfangreiche Informationen zur Euro 2016 in Frankreich: Die Stars. Die Teams. Die Stadien. gibt es ebenfalls in Buchform.

Wünschen wir vor allem den Teams aus Ungarn und Deutschland viel Erfolg bei der Euro 2016 in Frankreich sowie allen Teilnehmern einen friedlichen und fairen Wettkampf. Vielleicht treffen ja nun nach 62 Jahren die Endspielgegner von Bern wieder aufeinander, nicht nur zum vorbereitenden Freundschaftsspiel, sondern auch nochmals im Turnier. Ein Wunder hat sich 2016 nicht wiederholt, aber Ungarn setzte wieder Akzente.

Im Jahr 2022 gibt es neue Überraschungen. In der Nations League konnte Ungarn am 14.6.2022 in Wolverhampton mit 4:0 gegen England gewinnen und den “Red Lions” damit die höchste Heimniederlage seit 1928 zufügen. Das Team um Gulacsi, Orbán, Nagy, Sallai und Szoboszlai könnte also mal wieder für weitere Überraschungen gut sein.

Wer noch Spuren von “Öcsi” sucht, wird in Budapest fündig. Kurz hinter dem Burgberg kann man noch heute die Stammkneipe von Puskás besuchen, das Horváth Étterem. Inzwischen ist sie wegen der Corona-Pandemie geschlossen.

Köszönöm szépen / Danke, “Öcsi”.

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