Martinsweg: Spurensuche in Szombathely – der Heilige Martin in Ungarn
Martinsweg in Szombathely. Im Geburtsort im Westen Ungarns hatte der Martinstag 2016 besondere Bedeutung – 1700 Jahre Heiliger Martin.
Alljährlich am 11. November erfreut sich der Martinstag wachsender Beliebtheit, und das nicht nur wegen des traditionellen Gänse-Essens und der Lampionumzüge. Auch die Geschichte, wie der Heilige Martin seinen Mantel mit einem Bettler teilte, ist jedermann bekannt und dient oft als Vorbild. „Wie der neue Papst, heißt es in Tours, hätte sich auch Martin ganz den Armen verpflichtet gefühlt, den Ausgestoßenen, Flüchtlingen, Bettlern und Gefangenen, deren Schutzheiliger Martin ebenso ist wie der von Soldaten, Reisenden und Reitern.“, schrieb die Mitteldeutsche Kirchenzeitung im November 2015 zum Martinstag.
Weniger bekannt ist jedoch, dass der Heilige Martin so quasi ein Ungar ist, wie ich etwas provokant einen Beitrag hier im Blog betitelt habe. Zum Jubiläum seines 1700. Geburtstags haben wir uns auf Spurensuche begeben auf den Martinsweg in Szombathely.
Rückblick nach Savaria
Szombathely ist heute eine zwar belebte und moderne, aber dennoch beschauliche Stadt nahe der österreichischen Grenze mit derzeit rund 80000 Einwohnern. Noch wird der Heilige Martin nicht vollumfänglich vermarktet in Szombathely. Das ist wohltuend für den Besucher und gewiss auch im Sinne seiner damaligen Mission. Für den Interessierten sind die Spuren und Hinweise auf den Heiligen Martin jedoch unübersehbar – man sei aufmerksam und folge den gelben Pfeilen der Via Sancti Martini. Es ist aber ratsam, sich vorher über den Spazierweg und die interessanten Orte kundig zu machen. Dazu möchte ich hier etwas beitragen.
Der antike Name “Savaria” geht wohl sogar auf keltischen Ursprung zurück. Das von den Römern westlich der Donau eroberte Gebiet wurde die Provinz Pannonia. Unter Kaiser Claudius erhielt Savaria dann im Jahre 43 n.Ch. das Stadtrecht, wurde Hauptstadt Pannoniens und ist damit die älteste Stadt im Karpatenbecken.
Historischer Martinsweg durch Szombathely
Szombathely ist heute Ausgangspunkt verschiedener Pilgerwege nach Tours in Frankreich, die seit 2005 als europäische Kulturstraßen gelten. Wer den Martinsweg „richtig“ entlang gehen möchte, beginnt quasi am Geburtsort des Heiligen Martin an der Kapelle Szent Martón in Szombathely durch die Stadt in Richtung Slowenien. Für den Gast, der nur Szombathely besichtigt, empfiehlt es sich aber, den Abschnitt in der Stadt in entgegengesetzter Richtung zu spazieren, wie es etwa auch die Übersicht der 9 Stationen für die historische Promenade der Via Sancti Martini angibt. Wir wählten letztere Variante, weil der Spaziergang dann näher am Stadtzentrum endet. Man sollte 3 bis 4 Stunden einplanen plus ggf. die Zeit für den Besuch im Savaria-Museum. Ich würde aber empfehlen, das Museum abschließend zu besuchen.
Kalvarienkirche Szombathely & Martineum
Beginnen wir fast am westlichen Stadtrand in der Karmelita ut mit der Kalvarienkirche. Man erreicht den Kalvarienberg vom Stadtzentrum aus in etwa 15 Minuten zu Fuß. Vorbei an der Gedenk-Stele zum tausendjährigen Jubiläum des Staatsgründers, des Heiligen Stephan, erreicht man den Kalvarienhügel, der links von einigen kleinen Stationskapellen gesäumt ist, wie sie häufig an Kalvarienbergen an die Stationen des Kreuzwegs erinnern.
Die Kalvarienkirche selbst stammt aus dem Jahre 1730, ist aber vorwiegend durch den letzten Umbau 1901 geprägt. Sie ist eher klein und sehr schlicht gehalten. Daran anschließend findet sich das Martineum als katholische Akademie für Erwachsenenbildung. Auffällig sind hier zwei Bronzetafeln, die den Traum des Heiligen Martin sowie die Szene, wie er den Mantel teilt und einem Bettler gibt, darstellen.
Der dahinter befindliche Park wirkt vielleicht auf den ersten Blick etwas unscheinbar, bietet dem Interessierten aber auf zahlreichen Tafeln in Ungarisch, Tschechisch und Englisch umfangreiche Informationen zur Geschichte von Pannonien, Savaria und dem Heiligen Martin. Zudem zeigt er einige Grabungen und Fundstücke aus der Römerzeit. Übrigens liegt der Kalvarienberg direkt über einem Friedhof aus römischer Zeit.
Stelle des römischen Theaters
Verlassen wir den Kalvarienberg wieder stadtwärts und schauen kurz nach links auf die Grünfläche. Zwei große gebogene rostige Eisenplatten fallen auf. Sie zeigen die Peinigung des Heiligen Martin und das Todesurteil über den Heiligen Quirin. An dieser Stelle stand einst das römische Theater von Savaria, dessen Ruinenreste noch bis ins 19. Jahrhundert zu sehen waren, dann aber wurden die Steine für andere Bauarbeiten verwendet.
Gedenkstätte für St. Quirin
Folgen wir nun der Kálvária ut stadtwärts vorbei an der evangelischen Kirche bis zur Brücke über den Perint. Dies ist derselbe Weg, auf dem Quirin nach seiner Verurteilung während der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian bis zur damals nur wenige Meter daneben befindlichen Brücke gebracht wurde, bevor er wohl im Jahr 309 mit einem Mühlstein um den Hals in den Bach Sibaris (heute: Perint) geworfen wurde. Quirin war zuvor Bischof in Siscia in Pannonien (heute: Sisak in Kroatien).
Symbolisch weist heute eine auf dem Brückengeländer hängengebliebene Draperie des Bischofsgewands auf die Stelle des Märtyrertods des Heiligen Quirin hin – das Metallobjekt ist ein Werk von Gábor Veres.
Kathedrale Szombathely und Bischofspalast
Nach der Perint-Brücke führt uns der Martinsweg nach links, wo wir sehr bald den Bischofspalast und die Kathedrale Mariä Heimsuchung erreichen. Im von Maria Theresia gegründeten Bistum Szombathely wurde János Szily im Jahre 1777 zum ersten Bischof ernannt. Daraufhin baute man 1778-1783 den Bischofspalast im Stil des klassizistischen Spätbarocks. Auch die Inschrift am Dom erinnert an jenen ersten Bischof János Szily und nennt das Jahr 1797 der Fertigstellung des Gebäudes nach dem Baubeginn 1791. Die Innengestaltung dauerte dann noch bis 1814. Auch die Kathedrale ist im Stile des klassizistischen Spätbarocks ausgeführt. Architekt war in beiden Fällen der Österreicher Melchior Hefele.
Heute findet man keine überschwenglichen Dekore des Barock im Dom. Sie sind hier einer ruhigeren, sachlicheren Gestaltung gewichen. Die Kuppeln, Rundformen und Halbbögen sowie die Säulen aus rosenholzfarbenem Marmor tragen zur hellen und erhabenen Atmosphäre bei. Warum? Die Kathedrale von Szombathely wurde 1945 von Bomben der Alliierten zerstört. Lediglich die Kanzel und der Strahlenkranz mit Engeln konnten gerettet werden und sind noch original erhalten.
Neben dem Gedenken an den Heiligen Martin erinnert der Dom Szombathely auch gerne an den Besuch von Papst Johannes Paul II. am 19. August 1991, beispielsweise mit einer Bronzetafel: Der lateinische Ausdruck „Totus tuus“ war das apostolische Motto von Papst Johannes Paul II. und bedeutet soviel wie „völlig dein“.
Tipp: Wer einen Blick noch tiefer in die alte Geschichte der Stadt werfen möchte, findet direkt rechts hinter dem Dom den Ruinengarten mit römischen Ausgrabungen – geöffnet von April bis Oktober, jeweils Dienstag bis Sonntag 10 – 17 Uhr, Eintritt 1200 Ft (ca. 4 Euro).
Savaria-Platz und Museum
Folgen wir dem Martinsweg Szombathely nun über die Széchenyi István u. zum sehr großzügig angelegten Hauptplatz und weiter zum Savaria-Platz, wo auf einem Stahlpfeiler eine Metallskulptur jene Szene symbolisiert, wo der Bischof Martin seinen Mantel an den Bettler gibt – ein Werk von László Koller. Das unweit hiervon gelegene Savaria-Museum kann man vorerst wortwörtlich links liegen lassen und folgt weiter der Szent Márton u. über die größere Kreuzung, bis man auf der rechten Seite zur Martinskirche gelangt.
Öffnungszeiten: Im Savaria Museum und dem Museumspark sind die Bauarbeiten abgeschlossen. Nun ist wieder geöffnet – Dienstag bis Sonntag jeweils 10 – 18 Uhr, Eintritt 1600 Ft (ca. 4 Euro).
Tipp: Zum Abschluss des Martinsjahres in Szombathely findet die Festwoche statt, beginnend am Martinstag, dem 11. November, um 17 Uhr im Dom. Es folgt ein abendlicher Laternenumzug zur Martinskirche.
St. Martin-Kirche & Besucherzentrum
Auf dem Platz vor der St. Martin-Kirche begrüßen zuerst die Bronze-Figuren auf dem St. Martin-Brunnen die Besucher. Das Werk von István Rumi Rajki aus dem Jahr 1938 zeigt, wie Martin nach seiner Rückkehr nach Savaria seine Mutter tauft. Den Brunnen an dieser Stelle soll es aber bereits seit dem Mittelalter geben. Die Geschichte der Sankt-Martin-Kirche selbst reicht bis in die Römerzeit zurück, wenngleich die heutige Kirche etwa um 1670 im Barockstil erbaut wurde, allerdings wohl auf römischen Fundamenten. Das älteste Stück in der sehr hell und eher schlicht gehaltenen Kirche ist die Statue der Jungfrau Maria. Am Altar ist der Bischof Martin mit Hirtenstab und der Gans zu sehen. Im Reliquiar unter dem Altar wird schließlich ein Stück des Fingerknochens vom Heiligen Martin aufbewahrt. Eine Inschrift über einer Nebenkapelle besagt: „Hier wurde Sankt Martin geboren“, was aber nicht ganz stimmen kann, wie wir gleich sehen werden.
Zudem beherbergt seit 2007 das angeschlossene ehemalige Dominikanerkloster das Besucherzentrum. Es verbindet die Traditionen des Sankt-Martin-Kultes, organisiert Veranstaltungen und empfängt Pilger sowie Touristen.
St. Martin-Friedhof
Direkt hinter der St. Martin Kirche schließt sich der 7 Hektar große Friedhof Sankt Martin an, der seit dem 1. Jahrhundert bis 1962 ununterbrochen genutzt wurde. Er ist somit eine der ältesten Begräbnisstätten in Europa. Da zu römischer Zeit Friedhöfe und Wohngebäude räumlich klar getrennt waren und Friedhöfe außerhalb der Stadt lagen, ist es wohl mehr Legende, das direkt hier das Geburtshaus des Heiligen Martin stand. Heutzutage geht man eher davon aus, dass hier der Heilige Quirin, dem wir vorhin bereits an der Perint-Brücke begegnet sind, nach seinem Märtyrertod begraben wurde. Nach der vom Mailänder Edikt im Jahre 313 von Kaiser Constantin gewährten Religionsfreiheit errichteten Christen eine Kapelle über Quirins Grab. Als Jahrhunderte später eine Kirche notwendig wurde, errichtete man diese auf dem geweihten Gebiet des Grabdenkmals. Schutzheiliger der neuen Kirche wurde nun Martin von Tours, woraus sich wohl die Überlieferung ableitet, dass hier sein Geburtshaus gewesen sein soll.
Auf dem Friedhof Sankt Martin ruhen Opfer der Pestseuche und von verheerenden Stadtbränden, Adlige, Bürger und einfache Menschen aus Szombathely. Im Zweiten Weltkrieg wurde sogar der Friedhof von Bomben getroffen, was viele Grabmale schwer beschädigte. Noch heute sind aber Grabsteine aus dem 19. Jahrhundert zu sehen sowie mehrere Mausoleen bekannter Bürger der Stadt. Ein etwas mystischer Ort, der Geschichte atmet.