MuseenTraditionen

Originaler Blaudruck aus Tolna – zu Besuch in der historischen Werkstatt

Nicht jeder blaue Stoff ist auch Blaudruck. Einer der letzten seiner Zunft fertigt original Blaudruck in Tolna noch nach historischen Methoden.

An einem Septembertag waren wir verabredet in der Werkstatt in Tolna. Früh aus Pécs kommend zögerte sich die Fahrt durch Einbahnstraßen noch etwas hin. Tanken mussten wir zudem auch noch. Also schnell noch eine E-Mail nach Tolna, denn der Besuch dort in der Blaudruckwerkstatt sollte das heutige Highlight werden. Wir würden uns leider 20 Minuten verspäten.

Tolna ist eine Kleinstadt in der Mitte Ungarns in Südtransdanubien, die sogar dem ganzen Komitat ihren Namen gegeben hat. Dabei dominiert zumeist ein eher dörflicher Charakter. Zielsicher führte uns das Navi in die Kossuth Lajos utca 21. Hier sollte die Werkstatt sein – irgendwo zwischen ländlichen Wohnhäusern. Aber vollkommen richtig – wir standen schon davor. Die historische Blaudruckwerkstatt in Tolna verbirgt sich in einem Wohngehöft. Das schmucke dunkelblaue Tor kündet davon mit der Inschrift „Kékfestö mühely, Alapitva 1810-ben“. Vorsichtig treten wir ein – schließlich sind wir ja angemeldet. Rasch bemerkt und begrüßt uns der Meister des Blaudrucks, Herr Horváth, der auch recht gut Deutsch spricht. Wir sind sehr willkommen, werden in die alte Werkstatt geführt und nach und nach in ein paar Geheimnisse eingeweiht, wie echter Blaudruck entsteht.

Blaudruck ist ein traditionelles Kunsthandwerk

Schnell lernten wir, dass Blaudruck eigentlich ein Negativverfahren ist. „Gedruckt“ wird das, was später weiß sein wird, und nicht das Blau selbst. Aber der Reihe nach. Grundlage oder Unterlage ist traditionell ein Baumwollstoff, der von bester Qualität sein sollte. Familie Horváth bezieht die geeigneten Stoffe sämtlich aus Ungarn und kocht diese in einem ersten Schritt in einem Steinbehälter über offenem Feuer.

Holzbefeuerter Herd der Blaudruck-Werkstatt Tolna
Holzbefeuerter Herd der Blaudruck-Werkstatt Tolna

Das eigentliche Drucken ist vollkommen Handarbeit und beruht auf Modeln (manchmal auch Bildstock genannt), die den sogenannten „Papp“ in bestimmten Mustern auf dem Stoff aufbringen. Der Papp in dem einen Bottich ist eine feincremige Pampe, die aus Tonerde (ähnlich zur Porzellanherstellung) und anderen Chemikalien besteht. Genau wird das nicht verraten. Der „Papp“ muss dafür sorgen, dass an diesen Stellen später keine blaue Farbe anhaften kann, sondern der ursprüngliche Ton (das meist typische fast Weiß) des Baumwollstoffs verbleibt.

Blaudruck-Modeln mit Messingstiften

Jetzt kommt das Kunsthandwerk ins Spiel. Für die Muster gibt es sogenannte Modeln, die sukzessive als Ansatzmuster immer wieder verwendet werden, um ein Gesamtbild zu erzeugen. Die Modeln für sich sind schon die reinsten Kunstwerke und zugleich auch das Kapital des Handwerksbetriebs. Denn es gibt heutzutage praktisch niemanden mehr, der noch Modeln anfertigen würde. Manche Modeln sind komplett aus Holz geschnitzt, viele andere nutzen unzählige feine Stifte aus Messing, die in eine Holzform eingeschlagen sind. Faszinierend.

Blaudruck-Modeln, geschnitzt
Der Schatz der Blaudrucker - die Modeln
Der Schatz der Blaudrucker – die Modeln

Die Druckform wird in das „Papp“ getaucht“ und dann auf den Stoff aufgebracht. Dabei ist genau auf Muster und Ansatz zu achten, wofür es Hilfsstifte gibt. Das ist dennoch leichter gesagt als getan. Mein eigener Versuch war zwar nicht daneben, aber etwas verwischt. Wenn jetzt jemand eine Decke mit verwischtem Muster bekommt, dann war ich das. Sorry, ist eben Handarbeit.

„Papp“ für den Blaudruck

Zweitwichtigstes Werkzeug des Blaudruckers ist übrigens eine alte Zeitung. An allen Ecken und Ansatzstellen muss genau überlegt werden, wie das Muster weitergeht. Nicht benötigte Bereiche werden dann einfach vor dem Druckvorgang mit der Zeitung abgedeckt. So erzielt man saubere Ecken ohne Dopplungen im Muster.

Blaudruck braucht auch eine Zeitung

Im nächsten Schritt wird der Stoff gefärbt. Hier unterscheidet man zwischen der einfacher zu machenden Kaltfärbung sowie der Warmfärbung, die letztlich extrem langlebige Stoffe erzeugt, die auch absolut waschbar und wetterfest sind. Wir konnten sowohl die Bottiche mit dem Indigo für die Kaltfärbung als auch die Walzenanlage betrachten, wo der Stoff durch das erhitzte Indigo gezogen wird. Dabei sind das keine Industrieanlagen, sondern das Erhitzen der Farbstoffe oder Kochen des Stoffes erfolgt wie eh und jeh per Holzfeuerung. Die Mischung aus Indigo, Kalk und Eisenvitriol in uralten Steintrögen wirkt eher wie Hexenwerk, wo beim Umrühren intensives Blau zum Vorschein kommt.

Indigo-Bottich beim Blaufärber in Tolna
Indigo-Bottich beim Blaufärber in Tolna
Walzensystem für die Warmfärbung beim Blaufärber in Tolna
Walzensystem für die Warmfärbung beim Blaufärber in Tolna

Wo kommt nun die Farbe her?

Hier bleiben nun letzte Fragen offen. Das Prinzip des Blaudrucks stammt wohl aus Indien. Zum Färben verwendet man auch heute noch den Farbstoff Indigo. Die Werkstatt in Tolna bezieht diesen Farbstoff aber heutzutage aus Deutschland. Ob dieser nun aus dem traditionellen Färber-Waid (Isatis tinctoria) oder der originalen Indigopflanze (Isatis indigofera) aus den Tropen oder gar noch anderer Quelle stammt, konnte ich nicht endgültig klären.

Früher war Thüringen eine Region, wo viel Färber-Waid angebaut wurde. Daran erinnern mögen etwa der Waidstein in Sömmerda und die noch heute existierenden Blaudruck-Werkstätten in Greiz und Erfurt.

Übrigens, nicht jeder Blaudruck hat ein gleiches Blau. Alles ist ein Naturprodukt. Die anfängliche Farbe beim Färben ist eher hell bis schrill grünlich. Erst allmählich entsteht dann das typische Blau des Blaudrucks, wenn der Indigo-Farbstoff allmählich mit dem Sauerstoff der Luft oxidiert. Wie es letztlich genau aussieht, kann aber auch der Meister nicht vorhersagen. Oft entsteht aber ein strahlendes dunkles Blau ähnlich einem Kobaltblau oder eben dem Indigo.

Das vielleicht größte „Bügeleisen“

"Bügeleisen" für Blaudruck-Stoffe in Tolna
„Bügeleisen“ für Blaudruck-Stoffe in Tolna
"Bügeleisen" in Aktion
„Bügeleisen“ in Aktion

Von den fertig gefärbten Stoffen muss zunächst in einem Säurebad der restliche Papp entfernt werden. Dies sorgt zugleich dafür, die blaue Farbe besser zu fixieren. Schließlich müssen die fertig gefärbten Stoffe nicht nur aufgerollt, sondern dabei auch geglättet werden. Das übernimmt ein historisches Monstrum, was entfernt irgendwie einem Bügeleisen ähnelt. Es besteht aber vollständig aus Holz und verwendet darin circa 12 Tonnen Steine als Gewicht. Die ehemals völlig mechanische Bewegung dieses Monstrums erfolgt heutzutage mit etwas elektrischer Hilfe. Sehr eindrucksvoll zu sehen ist, wie das tonnenschwere Ungetüm brav losrumpelt und dabei ganze Stoffballen am Stück „gebügelt“ werden.

Blaudruck international

So spannend und schön das auch ist in Tolna, Blaudruck ist ein traditionelles Kunsthandwerk, was fast ausgestorben ist. Die letzten ihrer Zunft kennen sich auch international und treffen sich jährlich einmal in Österreich. Seien es nun die 12 Handwerker weltweit, die dort aufgelistet sind, oder doch noch ein paar mehr. Die möglicherweise älteste Manufaktur ist seit 1638 der Einbecker Blaudruck in Deutschland. Und als drittälteste ist unsere Familie Horváth aus Tolna seit 1810 verzeichnet. Weitere Kunsthandwerker für Blaudruck gibt es noch in Berlin-Dahlem und Berlin-Zentrum, Jever, Pulsnitz in Sachsen sowie etwa in Ungarn die Blaudruckwerkstätten in Györ, das Blaudruckmuseum in Papa sowie in Tiszakécske. Auch wenn noch ein paar Werkstätten hinzukommen, die hier nicht aufgeführt sind, bleibt es dennoch sehr überschaubar. Industriell gibt es keinen Blaudruck. Echter Blaudruck ist vollständig beidseitig gefärbt und hat nur wenige weiße Stellen als Muster.

Will sich jemand selbst daran versuchen? Ohne Druckmodeln usw. ist echter Blaudruck einfach nicht machbar. Bis zum Färben mit Indigo kann man es aber schaffen, wir ihr auf dem Blog Indigoblau aus Hannover nachlesen könnt.

Blaudruck in Szekszárd

Blaudruck-Stand in Szekszárd
Blaudruck-Stand in Szekszárd

Zurück nach Tolna. Etwa gleichzeitig zu unserem Besuch in Tolna fanden auch die Erntedanktage in Szekszárd statt – eine Kombination aus Kirmes und Weinfest nur gut 10 Kilometer entfernt. Unsere Familie Horváth aus Tolna war dort mit einem Stand vertreten, wo wir noch einmal in Ruhe die Ergebnisse des Blaudrucks begutachten konnten. Von Platz-Sets und Tischdecken über Lavendelbeutel bis zu Kinderkleidung ist vieles machbar. Am Marktstand in Szekszárd lernten wir auch Frau Horváth kennen – sehr sympathisch und noch stärker auf internationale Kontakte orientiert. Dort erfuhren wir zudem, dass es der Blaudruck aus Tolna sogar schon bis zur Fashionweek Berlin geschafft hat. Vielleicht entdeckt ja ein neuer Trend mal dieses traditionelle Kunsthandwerk. Und noch etwas fiel uns auf: Frau Horváth trug auch die passenden Schuhe. Wenngleich das nicht die typische Anwendung ist, so lässt sich sogar Leder per Blaudruck bearbeiten und färben. Das hat uns sehr gut gefallen. Gerne mehr davon.

Schuhe mit Blaudruck
Schuhe mit Blaudruck
Kindersachen per originalem Blaudruck
Kindersachen per originalem Blaudruck

Blaudruck aus Tolna in Wien

Blaudruck aus Tolna
Blaudruck aus Tolna

Wer Blau mag, schöner und traditioneller könnt ihr nicht einkaufen. Einen Stand mit originalem Blaudruck aus Tolna gibt es bereits seit mehreren Jahren auf dem herrlich stimmungsvollen Altwiener Christkindlmarkt der Freyung Wien, den es bereits seit 1772 gibt. Dort übrigens haben wir die Blaudruck-Manufaktur aus Tolna erstmalig entdeckt. Kauft die Originalprodukte. Ihr erwerbt nicht nur ein langlebiges und hochwertiges handwerkliches Produkt, sondern unterstützt auch die letzten Vertreter eines fast aussterbenden Kunsthandwerks. Hoffentlich wird es noch rechtzeitig in das immaterielle Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen.

Erbe-Status für den originalen Blaudruck

Allmählich wird die Einzigartigkeit des alten Handwerks stärker erkannt und gewürdigt. In Österreich ist der Burgenländische Indigo-Handblaudruck seit 2010 in das nationale Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen.  Seit Dezember 2016 gehört der Blaudruck auch in Deutschland zum immateriellen Kulturerbe, siehe auch hier. Bereits seit 2015 steht der Blaudruck (Kékfestö) auch in Ungarn auf der nationalen Liste des immateriellen Kulturerbes. Viele der noch aktiven Blaudrucker bemühen sich darum, dass der Blaudruck auch in die internationale UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wird. 2018 wurde der Blaudruck nun auch länderübergreifend als immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO anerkannt, auch dank solch engagierter Kunsthandwerker wie Familie Horvath in Tolna..

Blaudruck-Model mit Messingstiften
Blaudruck-Model mit Messingstiften

Praktisches für Besichtigung und Einkauf

Familie Horváth In Tolna spricht nicht nur gut Deutsch, sondern heißt die Gäste auch sehr herzlich willkommen, die den Weg in die Kleinstadt zum alten Handwerksbetrieb finden. Hier ist aber unbedingt eine Voranmeldung bzw. vorherige Terminabsprache erforderlich – am bequemsten per E-Mail. Scheut euch nicht. Das funktioniert wunderbar. Demnächst wollen die Horváths im eigenen Haus auch einen kleinen Laden eröffnen. Alles Gute dafür. Einkaufen könnt ihr aber jederzeit auch im Online-Shop.

Adresse

Kossuth Lajos utca 21, 7310 Tolna
Tel.: +3630 628 4014
E-Mail: originalblaudruck@gmail.com
Webseite: https://originalblaudruck.com/ (dort gibt es auch den Online-Shop)

Koordinaten

46,420237°N / 18,790877°O

Eintritt

Ein Eintrittspreis ist nicht festgelegt. Der Besuch ist kostenlos oder preisgünstig – kauft dort lieber die handwerklichen Produkte.

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5 Comments

  1. Hallo Peter Spannend, interessanter Beitrag. Hätte ich gerne life gesehen. Riecht es dort nach Farbe oder Chemikalien? Färbt so eine Decke beim Waschen noch aus? Bleicht sie von der Sonne aus? Suche noch eine Tischdecke, gucke mal im Shop vorbei VG Kirsten

    1. Hallo Kirsten, interessante Fragen. Es riecht nicht nach Chemie, denn Indigo ist ein Naturfarbstoff. Allerdings ist fast alles dort in der Werkstatt irgendwie bläulich.
      Waschen haben wir noch nicht selbst probiert. Das erste Mal kann man ja vorsichtshalber separat waschen. Es sollte aber bei den Sachen aus Tolna nicht notwendig sein, denn diese werden heiß gefärbt und sind damit wesentlich haltbarer. (Anderer kaltgefärbter Blaudruck könnte durchaus ausfärben). Auch in der Sonne bleicht Blaudruck praktisch nicht aus. Am Markstand in Szekszárd wies uns Familie Horváth auf die Überdachung des Standes hin, die bereits 60 Jahre alt sei. Der Stoff hatte zwar einzelne kleine Schadstellen, das Blau war aber nahezu unverändert.

  2. Hallo! Seit Jahren nehmen wir Blaudruck aus Papa oder Györ mit. Eine hervorragende Qualität, lässt sich prima bügeln, färbt nicht. Mit dem passenden Keramikgeschirr sieht es hübsch aus. Das Blaudruckmuseum in Papa hat sich in den letzten Jahren immer etwas verändert und ist sehr schön geworden und ansehenswert. Lg

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