Tokajer Aszú – viel mehr als süß – Typen, Klassifikation, Reglement
Bei Tokajer vermutet man zumeist schwere üppig süße Weine. Das ist aber noch längst nicht alles.
Was macht eigentlich die Faszination am Tokajer aus, die schon seit vielen Jahrhunderten die Mächtigen und Künstler inspiriert hat? Gewiss sind das die berühmten Süßweine Tokaji aszú.
Grundtypen der Tokajer – eine großartige Vielfalt exzellenter Weine
Eigentlich gibt es gar nicht „den Tokajer“, denn der Name Tokajer steht für eine ganze Vielfalt von Weinen mit jeweils sehr eigenem Charakter, siehe auch die Weinkategorien des Tokaj auf der Seite https://www.tokaji.hu/en/tokaj/. Heute gibt es vermehrt auch die Grundweine des Tokajers oft rebsortenrein und trocken, halbtrocken oder als Spätlese (Late Harvest) im Angebot. Sie sind wie allgemein üblich reduktiv ausgebaut und ähneln daher im weitesten Sinne international üblichen Weißweinen. Bereits 2011 betitelte „Die Zeit“ den neuen Trend als „Die trockene Revolution“. Soweit wird es wohl nicht kommen, aber die mitunter exzellenten trockenen Weine können den berühmten Süßwein aus Tokaj würdig ergänzen.
Völlig anders wird es aber bereits beim Tokaji Szamorodni. Hier beginnt das erste Geheimnis zu wirken, die Edelfäule durch Botrytis. Das durchaus ungarisch erscheinende Wort szamorodni stammt jedoch aus dem Polnischen und bedeutet etwa „wie gewachsen“. Es erfolgt also keine Auslese und die Trauben werden gemeinsam verarbeitet, so dass der Tokaj Szamorodni durchaus trocken (száraz) oder süß (édes) sein kann. Der zweite essenzielle Unterschied ist der oxidative Ausbau. Insofern ähnelt ein trockener Tokaj Szamorodni durchaus einem Fino oder Amontillado Sherry. Die süße Variante kommt hingegen dem traditionellen Tokajer schon recht nahe, erreicht aber nicht ganz dessen Komplexität. Eine ausführlichere englische Erläuterung zum Szamorodni liefert Borstore. Während der trockene Szamorodni seltener wird, erfreut sich die süßere Variante zunehmender Beliebtheit als preisgünstiger Einstieg in die Welt der Süßweine.
Forditás (bedeutet auf Deutsch etwa Wendung) und Máslás sind zwei Zwischenvarianten, bei denen die bereits abgepressten Aszú-Trauben nochmals mit Most aufgegossen werden und dann gären. So entstehen mäßig süße oder eher trockene aromatische Weine.
Aszú bedeutet Ausbruch oder Auslese und steht für jenen Typ, für den der Tokajer so berühmt ist. Hier sind wir beim zweiten Geheimnis des Tokajers. Für den Aszú werden die edelfaulen Trauben im Weinberg per Hand einzeln ausgelesen und in Bütten gesammelt, ungarisch: puttonyos. Aus den normalen Trauben wird zunächst ungeschwefelt ein Grundwein mit hohem Alkoholgehalt bereitet, dem dann eine gewisse Menge der durch Botrytis geschrumpften Trauben zugesetzt wird. Anschließend erfolgt eine zweite Gärung im typischen Göncer Fass mit 136 Litern Inhalt. Gönc ist übrigens ein kleiner Ort unweit entfernt auf der anderen Seite des Zemplén-Gebirges. Für einen guten Aszú bedarf es aber noch einiger weiterer Geheimnisse oder Umstände, die wir im Detail nicht alle lüften können. Dazu gehören auf jeden Fall aber das vulkanisch geprägte Terroir, das besondere Mikroklima am Zusammenfluss von Bodrog und Theiß, die spezielle Zubereitung und Gärführung sowie die Fasslagerung in den uralten Kellern der Region. Übrigens scheint das Zusammenfließen zweier unterschiedlicher Flüsse für große Süßweine sehr wichtig zu sein, denn auch im französischen Sauternes fließt der kleine Ciron in die größere Garonne.
Aszúeszencia ist ein besonders gehaltvoller und süßer Aszú mit einem Restzuckergehalt von mindestens 180g pro Liter, der die höchste Stufe der Aszú-Bereitung darstellt.
Schließlich steht darüber noch die sagenumwobene Eszencia: Hier wird es fragwürdig, ob man überhaupt noch von Wein sprechen kann. Das ist eher göttlicher Nektar oder einfach nasser Honig. Eszencia entsteht, indem man die edelfaulen Beeren unter ihrem eigenen Gewicht abtropfen lässt und diese winzige Flüssigkeitsmenge auffängt. Dadurch sind Zuckergehalte zwischen 450 und 900 Gramm pro Liter möglich. Die konservierende Wirkung des Zuckers macht hingegen eine Gärung nahezu unmöglich, so dass diese mehrere Jahre dauert und nur sehr wenige Volumenprozent Alkohol erreicht. Von dieser Quintessenz entsteht nur etwa ein Liter pro Hektar.
Historische Klassifikation der Tokajer Aszú
Bei Tokaji Aszú trifft man bisher unweigerlich auf die traditionelle Angabe Puttonyos. Diese Bütten haben etwa 25 kg Fassungsvermögen und dienen zur Weinlese der edelfaulen Trauben. Entscheidend ist dann, wieviele dieser Bütten mit edelfaulen Trauben einem Göncer Fass mit 136 l Grundwein beigefügt werden. Die Zugabe von nur 1 oder 2 Puttonyos ist kaum üblich. Normalerweise arbeitet man mit 3 bis 6 Puttonyos, wobei die letzteren Stufen schon ein Verhältnis von etwa 1:1 bedeuten. Parallel dazu gilt eine Vorgabe für den Gehalt des Restzuckers im Aszú-Wein, die von 60g/l bei 3 Puttonyos (3-büttig) über 90g/l, 120g/l bis auf 150g/l für 6 Puttonyos (6-büttig) ansteigt. Höhere Beigaben sind nur selten üblich und ergeben die Aszúeszencia, die man eventuell auch als 7-büttig oder höher bezeichnen könnte. Für Vinifizierung und Reifung gab es auch bisher klare Regeln, die nun wie nachfolgend beschrieben leicht angepasst worden sind.
Tokaj und die Neuerungen im Reglement
Seit 2014 gilt für die Region eine drastisch geänderte neue Tokaj Produktspezifikation (TPS). Ziel ist es, die Bedeutung der höchsten Kategorie Aszú zu stärken und die Vielfalt der Weintypen im Tokaj zu straffen, damit Kunden diese besser verstehen. Die Änderungen erklärt auf Englisch der Artikel von TokajToday.
Wichtig und für Fans etwas wehmütig ist vor allem die Abschaffung der traditionellen Klassifikation nach den Puttonyos. Das ist in Ungarn durchaus umstritten, weil gerade diese Besonderheit wesentlicher Bestandteil der Tradition ist und die Eigenart als ein Hungarikum ausmacht. Künftig muss ein Aszú-Wein einen Restzuckergehalt von mindestens 120 g pro Liter haben, was den bisherigen 5 Puttonyos entspricht. Dennoch dürfen die bisherigen Angaben in Puttonyos nach Ermessen des Winzers weiterhin gemäß den alten Regelungen verwendet werden, allerdings dürfen Weine mit 3 oder 4 Puttonyos künftig nicht mehr Aszú heißen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Winzer entscheiden und ob es weiterhin Weine dieser interessanten und etwas preisgünstigeren Klasse geben wird.
Außerdem dürfen auch künftig Aszú-Weine zusätzlich mit 6 Puttonyos gekennzeichnet werden, sofern sie mindestens 150 g Restzucker pro Liter enthalten. Auch die Kategorie Aszúeszencia wird nicht fortgeführt, weil diese erst in den 1970er Jahren eingeführte Zwischenstufe zu Verwechslungen mit der echten Eszencia geführt hat.
Ein Aszú-Wein muss künftig statt 24 Monate nur noch mindestens 18 Monate Fasslagerung aufweisen, darf aber auch weiterhin erst ab dem dritten Jahr nach dem Erntejahr verkauft werden. Zudem muss jeder Aszú-Wein nach der traditionellen Methode aus Grundwein und edelfaulen Beeren hergestellt werden.
Schließlich werden die Regeln für alle Tokajer Weine gestrafft, so dass nun auch sämtliche Grundweine und als Spätlese (Late Harvest) deklarierten Weine genau wie die klassischen Tokajer keinerlei Anreicherung oder Süßung mit Mostreserve erhalten und nur in der Region abgefüllt werden dürfen. Wo künftig Tokaj oder Tokaji draufsteht, ist also garantiert auch nur authentischer Tokajer drin.
Übrigens ist Tokajský die korrekte Bezeichnung für Tokajer-Wein, der auf den 200 zur Slowakei gehörenden Hektar (vor dem Ersten Weltkrieg auch ungarisch) des traditionellen Tokaj-Gebiets gewachsen ist. Alle in anderen Ländern verwendeten ähnlichen Bezeichnungen wie Tocai oder Tokay sind nicht mehr zulässig.
Weitere Neuerungen für Tokajer ab 2016
Zwei weitere Änderungen der Tokaj Produktspezifikation (TPS) gelten ab dem Jahrgang 2016. Diese betreffen nun vornehmlich die weiteren Weinkategorien wie Szamorodni. Eine ausführliche Übersicht der Änderungen gibt der englische Artikel von TokajToday. Diese Neuerungen sollten die Vielfalt der Tokajer bewahren und deren hohe Qualität sichern.
In Kürze: Für Szamorodni, Fordítás and Máslás sind nur noch 6 Monate Fasslagerung sowie insgesamt 1 Jahr Lagerung Voraussetzung. Die Mindestalkoholgehalt für süßen Szamorodni édes wurde von 12% auf 9% gesenkt, so dass nun auch einige Weine, die bisher als Spätlese verkauft werden mussten, wieder Szamorodni werden dürfen. Zudem wird es weiterhin auch trockene Szamorodni-Wein (száraz) geben, was aber auf dem Etikett sofort erkennbar sein muss. Bei Fordítás and Máslás ist künftig ein Mindestzuckergehalt von 45 g/l vorgeschrieben, so dass es davon keine trockenen Varianten mehr geben wird. Eine mechanische Lese der Trauben ist künftig generell verboten. Aber bereits bisher erfolgte die Lese im Tokaj praktisch überall per Hand. Zudem ist für den allmählich aufkommenden Sekt (peszgö) aus Tokaj nun die traditionelle Flaschengärung vorgeschrieben. Auch dies bestätigt wiederum nur die gängige Praxis.
Wem gehören eigentlich die Tokajer?
Wie ich in meinem Artikel zur Geschichte der Tokajer erwähne, hat Hugh Johnson nicht nur sehr frühzeitig das weiter schlummernde Potenzial erkannt, sondern war auch nach der Wende einer der Ersten, die engagiert mitgearbeitet haben, um den alten Ruf der Tokajer wiederherzustellen. Lange bevor die breite Öffentlichkeit den Tokajer nun vielleicht wieder stärker entdeckt, haben längst renommierte Investoren dafür gesorgt, dass historische Weingüter wieder aufleben, neue entstehen und die Region ihren Glanz zurückgewinnt. Das liest sich fast wie das Who is Who der Weinwirtschaft.
Allen voran gilt aber auch heute der ungarische Winzer István Szepsy als das Maß der Dinge im Tokaj. Die Royal Tokaji Wine Company gehört teilweise dem Mitbegründer Hugh Johnson, Gróf Degenfeld ist das rekonstruierte Weingut eines alten deutsch-ungarischen Adelsgeschlechtes, Chateau Dereszla gehört der Familie d’Aulan aus der Champagne und das Weingut Disnókö der französischen AXA-Versicherung. Hetszölö mit den historischen Rakoczi-Kellern in Tokaj gehört dem Eigentümer des Bordeaux Grand Cru Chateau Cos d’Estournel und das Weingut Oremus der spanischen Weinlegende Vega Sicilia. Das Weingut Tokaj Pendits in Abaújszántó befindet sich im deutschen Besitz und ist das erste Bioweingut mit Demeter-Zertifizierung. Kiralyudvar (Königshof) gehört dem asiatischen Investor Anthony Hwang und ist eine neue Kellerei, die zunächst unter Leitung von István Szepsy begonnen hat.
Ist Tokajer immer teuer?
So ein weltberühmter Wein wie der Tokajer ist sicherlich sehr teuer? Auch hierauf muss man wieder differenziert antworten, denn in Tokaj gibt es durchaus für jeden Geldbeutel sehr interessante Weine zu entdecken. Trockene Grundweine wie vor allem Furmint oder auch halbtrockene und Spätlese-Weine vom Harslevelü (Lindenblättriger) sowie Sargamuskotaly (Gelber Muskateller) gibt es oft im Preisbereich von 5-10 Euro, mitunter auch teurer. Ebenso starten in diesem Preisbereich die Szamorodni-Weine. Selbst der vom großen Hersteller erzeugte trockene Szamorodni aus dem Supermarkt ist probierenswert und eine interessante Alternative zum Sherry. Ab rund 10 Euro kann man einen guten süßen Szamorodni bekommen.
Und die Königsklasse Aszú? Ordentliche Aszú 3 puttonyos gibt es immer noch unter 20 Euro und für einen ganz klassischen Aszú 5 puttonyos sind rund 30 Euro fällig. Das ist zwar teuer, bei einem besonderen Anlass aber auch den besonderen Genuss wert. Und der Preis liegt noch immer weit unter dem, was etwa in Deutschland für eine der seltenen Trockenbeerenauslesen oder in Frankreich für einen klassifizierten Sauternes verlangt wird. Für 6-büttige Aszú-Weine von Spitzenerzeugern sowie Eszencia und ältere Jahrgänge sind aber auch im Tokaj die Preise nach oben offen.
Tipp: Wer einen klassischen Tokajer von einem der renommierten Weingüter zu einem realistischen Preis sucht, wird in Deutschland bei Borstore fündig. in Ungarn schaue man mal in den Läden von Bortársaság vorbei.
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