NaturVeranstaltungen

Graurindmarkt Hortobágy – auf Tuchfühlung mit dem Steppenrind

Wahrzeichen der ungarischen Puszta sind die stattlichen Graurinder. Im Herbst treffen sich auch die Züchter auf dem Graurindmarkt in Hortobágy.

Bei Graurindmarkt denkt man sicher spontan an einen Viehmarkt im Wilden Westen und an Filme mit John Wayne. Doch weit gefehlt, der Graurindmarkt findet im Nationalpark Hortobágy Puszta im Osten Ungarns statt – und ganz so wild ist er auch nicht. Hier hegt man seit jeher alte Nutztierrassen, die anderenorts weitgehend ausgestorben sind und sich erst allmählich wieder ihre Fans zurückerobern können.

Graurind in der Hortobágy Puszta, Einzelporträt
Graurind in der Hortobágy Puszta, Einzelporträt

Graurindmarkt als Züchterschau

Graurinder und Hirten, Graurindmarkt Hortobágy
Graurinder und Hirten, Graurindmarkt Hortobágy

In der ungarischen Puszta legt man viel Wert auf Traditionen. Neben dem Hirtentum gehört das Graurind (ung. Szürkemarha) oder ungarische Steppenrind zweifellos dazu. Alljährlich am ersten Wochenende im Oktober treffen sich Züchter, Fachleute und Naturliebhaber in Hortobágy zum Graurindmarkt – in diesem Jahr ist das der 7. Oktober 2023. Dennoch ist diese wiederbelebte Tradition noch relativ jung.

Ausländische Touristen sieht man jetzt im Herbst schon weniger in der Puszta. Dabei bietet gerade der Graurindmarkt eine tolle Möglichkeit, mit den prächtigen Tieren quasi auf Tuchfühlung zu gehen.

Graurindmarkt Hortobágy – der nächste Stier
Graurindmarkt Hortobágy – der nächste Stier

Spätestens um 11 Uhr vormittags haben sich potenzielle Interessenten und Gäste der Vieh-Auktion auf der kleinen Tribüne neben dem Puszta-Tierpark vor den Weiten der Puszta versammelt, wenn der Auktionator mit dem „Kuhhandel“ beginnt. Aber nein, es geht hier um Zuchtstiere des ungarischen Graurindes. Ihre Farbe ist ein sehr helles Grau, fast Weiß, das in gewisser Weise dem französischen Charolais-Rind ähneln mag. Einzigartig sind aber die großen und geschwungenen Hörner, die man diesen stattlichen Tieren auch ungestutzt belässt. Um die Gefahr gegenseitiger Verletzungen zu verringern, bekommen die Stiere hier spezielle Messingkappen auf die Spitzen der Hörner. So geht das auch artgerecht mit dem Kuhhorn, denn dies ist nicht nur Schmuck, sondern hat eine wichtige Bedeutung für die Rinder. Eine Studie aus der Schweiz zeigt, dass Rinder nach dem Enthornen ihr Leben lang leiden.

Graurind-Stier vor der Tribüne der Auktion
Graurind-Stier vor der Tribüne der Auktion

Einzeln nacheinander kommen die jungen Zuchtstiere in das Schaugehege und präsentieren sich den interessierten Bietern, aber nicht jeder bekommt einen Zuschlag. Für Schaulustige ein faszinierendes Spektakel. Hier ist auch der Moment, wo die sonst gerne vor Touristen gezeigten Puszta-Peitschen zum praktischen Einsatz kommen. Sie dienen nicht der Belustigung, sondern sind ein wahrlich wirksames Mittel, um die manchmal stürmischen Stiere in die gewünschte Richtung zu bringen. Dabei knallen diese Peitschen nur in der Luft und berühren oder schlagen keinesfalls die Tiere. Wer aber beim Graurindmarkt einmal das Knallen der Peitsche eines Profi-Hirten aus der Nähe erlebt hat, wird verstehen, warum das funktioniert.

Graurindmarkt Hortobágy, traditionelle Hirtenmäntel
Graurindmarkt Hortobágy, traditionelle Hirtenmäntel

Übrigens: Der Graurindmarkt ist keine touristische Veranstaltung, sondern ein wichtiger Markt für die Züchter im Lande und für die Arterhaltung des ungarischen Graurindes. Veranstalter und Anbieter ist die Hortobágyi Természetvédelmi és Génmegörzö Nonprofit KFT. – zu Deutsch etwa die Gemeinnützige Hortobágy GmbH für Naturschutz und Gen-Erhaltung mit Firmensitz in der Czinege J. u. 1. in 4071 Hortobágy, Ungarn (nur auf Ungarisch). Die Hirten der Hortobágy stehen in enger Zusammenarbeit mit dem ungarischen Zuchtverband für Graurinder und tragen eine Schlüsselrolle für die Arterhaltung. Während der Bestand in den 1970er Jahren auf nur noch 400 Tiere geschrumpft war, gibt es heute wieder rund 9000 Graurinder – Tendenz steigend.

Wieviel kostet ein Graurind?

Graurindherde in der Hortobágy Puszta
Graurindherde in der Hortobágy Puszta

Nunja, nur die wenigsten Touristen werden tatsächlich mit der Absicht kommen, selbst ein Graurind zu erwerben. Wir hatten das auch nicht vor. Daher kann ich nicht genau sagen, mit welchen Formalitäten man Bieter werden kann oder wie man letztlich ein Graurind exportieren könnte. Weitere Informationen auf Ungarisch geben aber zumindest die beiden Links unten auf der Webseite der Veranstaltung, die über die Auktionsbedingungen informieren und einen Muster-Kaufvertrag zeigen.
Mit meinen geringen Ungarisch-Kenntnissen konnte ich aber in der Auktion zumindest soviel aufschnappen, dass die Gebote so zwischen 300.000 und 400.000 Ft lagen, also so etwa ab 1000 Euro aufwärts. Für solche herrlichen Tiere wahrlich ein fairer Preis. In anderen Ländern erfolgt der Kuhhandel oft über Kleinanzeigen, etwa auf folgender Landwirtschaftsseite. Die Preise bieten dort ein weites Feld von 400 Euro für Kälber, 1000-1500 Euro für trächtige Kühe, 2500 Euro für einen Zuchtstier der schottischen Highlander oder gar 9500 Euro für einen Wagyu-Zuchtstier. Für ambitionierte Rinderzüchter wäre also ein echtes ungarisches Graurind nicht nur eine hervorragende historische Rinderrasse, sondern auch preislich durchaus attraktiv.

Tipp: Aber zurück zum Touristen. Man muss ja kein ganzes Graurind erwerben, jedoch ein paar Stückchen davon sollten es schon sein: die Hortogágyi Nonprofit Kft. bietet direkt am Veranstaltungsort verschiedene Salamivarianten an, die von der Tieren aus dem Nationalpark Hortobágyi Puszta stammen. Mit das Beste, was Ungarn zu bieten hat.

Verkaufsstand der Hortobágy Kft. auf dem Graurindmarkt
Verkaufsstand der Hortobágy Kft. auf dem Graurindmarkt

Volksfest in der Puszta

Slambuc beim Graunrindmarkt in Hortobágy
Slambuc-Kessel beim Graurindmarkt in Hortobágy

Im ländlichen Ungarn gibt es natürlich keine größere Veranstaltung ohne ein zünftiges Essen. Parallel zum Graurindmarkt findet auf dem Marktplatz des Ortes (Vásártér Hortobágy) nun 2019 zum fünften Male ein Volksfest mit Kochwettbewerb statt. Vor oder nach der Auktion kann man hier die ländliche Lebensart spüren und die typischen Gerichte der Puszta in traditioneller Zubereitung über offenem Feuer kennenlernen – erwartungsgemäß natürlich Gulasch vom Graurind, aber auch Schafpörkölt und noch eine weitere Spezialität der Puszta – das Slambuc. Das ist eine traditionelle Mischung von Nudeln und Kartoffeln mit Gemüse, die mit Speck angeschwitzt und dann im Kessel weiter gegart wird.

Wer früh vor Ort ist, kann ab 8 Uhr das Anheizen der Feuerstellen beobachten und um 9 Uhr die Eröffnungszeremonie erleben. Danach ist auch der in Ungarn bekannte Koch Róbert Bede mit zu Gast. Den ganzen Tag über sorgen Folk-Musik und Volkstanzgruppen für Unterhaltung. Gegen 15 Uhr erfolgt die Bekanntgabe der Ergebnisse und die Preisverleihung für den Kochwettbewerb.

Ergänzend bieten einige Marktstände auch Volkskunst und die nötigen Gerätschaften zum Kochen an – Kessel, Brenner-Systeme, verschiedenste Keramik wie beispielsweise die besondere Schwarzkeramik aus dem nahegelegenen Nádudvar und beliebte Holzwaren für die ungarische Küche vom Krauthobel bis zu den Rollen für Kürtöskalács.

Graurindmarkt Hortobágy, Ochsenkarren
Graurindmarkt Hortobágy, Ochsenkarren

Schließlich muss man sich entscheiden, ob man weiter über den Markt und Kochwettbewerb schlendern mag, lieber die bekannte Hortobágy Csárda besucht oder doch noch Zeit findet für das Hirtenmuseum, den Vogelpark, das Gestüt Matai Ménes, und, und, und… Gewiss aber steht nun der Entschluss fest, die Hortobágy Puszta wieder zu besuchen. Nicht umsonst ist sie Nationalpark, seit 1979 Biosphärenreservat und seit 1999 UNESCO-Weltkulturerbe.

Rindermarkt in der Geschichte

Auch ein Blick in die Geschichte ist lohnend. Denn der Rindermarkt war früher eine wichtige Institution in vielen Städten, wie noch heute die Straßenbezeichnungen „Rindermarkt“ beispielsweise in Augsburg, München und Passau bezeugen. Dort gab es früher tatsächlich ein reges Handelstreiben mit Rindern. Häufig ging es damals aber nicht um Zucht(s)tiere, sondern rein um die Versorgung der anwachsenden Stadtbevölkerung mit reichlich Fleisch. Einen Rest vom Charme ehemaliger Viehmärkte kann man heute vielleicht noch in Norddeutschland auf dem Brockumer Viehmarkt erleben: http://www.brockumer-grossmarkt.de/die-festtage/der-viehmarkt/.

Das aber bereits im 15. Jahrhundert Ochsen aus dem gesamten Karpatenbecken (dem damals noch größeren Ungarn) westwärts in die rasch wachsenden Städte wie Venedig, Nürnberg oder Köln gebracht wurden, ist erwiesen. Der weite Weg war damals oft die sprichwörtliche „Ochsentour“. Ein früherer Blogartikel zur Nürnberger Fleischbrücke (leider nicht mehr verfügbar unter http://www.alits-blog.de/tag/ochsenhandel-graurind-fleischbruecke/) beruft sich dafür auf einen Bericht aus dem Jahre 1422 und schildert die Strapazen.

Der Ochs von Nürnberg ist ein Graurind

Stichwort Nürnberg. Ein geschichtlich besonderes Exemplar möchte ich Euch nicht vorenthalten, denn der berühmte Ochs von der Fleischbrücke in Nürnberg ist nachweislich ein ungarisches Graurind. Wie das? Angesichts des lebhaften Ochsenhandels der damaligen Zeit verwundert das nicht. Michael Bammessel, Präsident der Diakonie Bayern, erklärte „Im Mittelalter, als der durchschnittliche Fleischkonsum höher war als heute, wurden regelmäßig Rinderherden von Ungarn nach Nürnberg getrieben, wo die Tiere an der Fleischbrücke verkauft und geschlachtet wurden.“

Fleischbrücke. Foto: Wolfgang Bernert, © Diakonisches Werk Bayern, 2012
Ochs auf der Nürnberger Fleischbrücke. Foto: Wolfgang Bernert, © Diakonisches Werk Bayern, 2012

Auf dem Bild im vorgenannten Blogbeitrag sieht das steinere Tier allerdings etwas verstümmelt aus. Seit 11. Oktober 2012 hat der angestammte Ochs am Ochsenportal auf der Fleischbrücke in Nürnberg aber wieder original ungarische Hörner. Zum ungarisch-bayerischen Partnerschaftsfest der Evangelisch-lutherischen Kirche Ungarn mit ihrem bayerischen Pendant gelang es, der Diakonie Bayern die echten Hörner zu übergeben und dem Ochsen wieder seine angestammten Hörner aufzusetzen. Mein besonderes Dank gilt hier Herrn Bernert von der Diakonie Bayern, der mir freundlicherweise das Bild des vervollständigten Ochsen zur Verfügung gestellt hat.

Praktisches zum Graurindmarkt

Graurindmarkt Hortobágy – endlose Weiten
Graurindmarkt Hortobágy – endlose Weiten

Adresse

Hortobágy, Pusztai Állatpark (Puszta Tierpark) Freier Eintritt

Programm: am 7. Oktober bereits ab 8 Uhr beginnt der Kochwettbewerb, danach feierliche Eröffnung und Präsentation der Stiere, ab 11 Uhr beginnend die Auktion der Graurind-Stiere.

Koordinaten

47,57346° N /21,1441° O

Von Tiszafüred kommend biegt man kurz vor der bekannten Neunbogenbrücke am Ortseingang von Hortobágy rechts ab. Parken sollte dann auf der Zufahrtsstraße zum Puszta-Tierpark möglich sein. Falls zuviel Andrang herrscht, richtet man in Hortobágy aber auch mal einen kostenpflichtigen Großparkplatz auf der Wiese ein. Wer einmal einen Platz gefunden hat, kann die meisten Dinge im Ort dann erlaufen.

Weitere Informationen

Die Webseite des Ortes Hortobágy informiert weiter auf Ungarisch über den Graurindmarkt, ebenso die Webseite des Nationalparks unter https://www.hnp.hu/hu/esemenyek/1079/magyar-szurke-baratok-talalkozoja. Die englische Variante der Seite hat aber bisher meistens nicht die Informationen zu den Veranstaltungen.

Noch mehr Informationen erhält man zumeist auch im Tourinform am Petőfi tér 9 in der Nähre des Verkehrskreisels, zum Teil auch auf Englisch und Deutsch.

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